„Sei fair“ „Dabeisein ist alles“
Der sportliche Wettkampf wird gerne als Muster, als Beispiel für eine humane, zivilisierte = „kulturelle“ Auseinandersetzung gewählt. Nicht zuletzt im politischen Raum. Und in der Tat, in seiner gelungensten Form stellt der Sport genau das dar. Einen Wettstreit, ein Spiel nach klaren, fairen Regeln. Keiner wird übervorteilt, jeder hat die gleiche Chance und in Kategorien wird nur eingeteilt, um genau diese Chancengleichheit zu gewährleisten. Das sind durchaus hehre Ansprüche, darunter liegen moralische Wertvorstellungen. Ein sportliches Ideal.
Idealen gerecht zu werden ist aus mehreren Gründen schwierig – weshalb nicht nur wir als Individuen, sondern auch „der Sport“ daran meistens scheitern. Aber – und hier ist die Parallele zu unserem freiwilligen und durchaus auch beruflichen Engagement, sei es im Sport oder in der Politik, sehr klar – es ist der ständig neue „Kampf“ um diese Ideale, die den eigentlichen Wert ausmachen. Der Weg ist das Ziel.
Natürlich kann nicht jede Sportlerin Weltmeisterin werden – und nicht jede Politikerin Bundeskanzlerin. Aber es ist der Versuch, das Training, die Wettkämpfe, das Miteinander im Team, die Inklusion der Anderen, das Überwinden von Einschränkungen, das Erweitern der eigenen Möglichkeiten, ja auch das Erreichen von Grenzen und das Scheitern, welche den eigentlichen Gewinn ausmachen. Es formt die Einzelnen und gestaltet letztlich unsere Gesellschaft.
Am Grad der Sportlichkeit einer Gesellschaft kann man den Grad der Zivilisierung, ja vielleicht sogar auch der Demokratisierung ablesen. Es hat ja einen Grund, warum gerade autokratische und diktatorische Regime mit vielen Mitteln versuchen international sportliche Erfolge zu erzielen und internationale Sportereignisse in ihren Ländern auszurichten. Sie erhoffen sich dadurch eine höheren gesellschaftlichen Stellenwert, eine höhere kulturelle Akzeptanz – oft wollen sie auch von gesellschaftlichen Defiziten ablenken. Nur so sind politisch motivierte Boykotte zu verstehen – man will dem anderen Staat oder System diese Aufwertung verweigern. Das ist wirtschaftlich nicht so schmerzhaft wie ein Handelsboykott – aber moralisch, kulturell umso mehr.
Im Sport wird gefoult, gedopt, betrogen, geschummelt, manipuliert, bestochen, gelogen. Warum? Weil wir Menschen sind. Wir sind nicht perfekt. Im religiösen Kontext nennen wir es sündigen. Aber – und das ist der große kulturelle Verdienst des Sportes – wir geben uns Regeln, wir haben Schiedsrichter und wenn dieses Regelwerk versagt, entziehen wir dem Sport am Ende unser Vertrauen. Wir sind enttäuscht und wenden uns ab, denn das was den Sport ausmacht, das Grundvertrauen in die zivilisatorische Absprache, ist zerstört.
Das ist letztlich die große Chance, die für uns als Gesellschaft dem Sport innewohnt. Wenn die gierigen Vermarkter, korrupten Verwalter und manipulierenden Staaten den Bogen überspannen, wenn die Aktiven und Fans merken, das ihr Engagement, ihr Interesse missbraucht wird, sei es für kommerzielle oder politische Zwecke, dann misslingt der positive Imagetransfer und verkehrt sich ins Gegenteil. Die aktuellen Debatten um die Vorgänge in den Fussballverbänden und der Leichtathletik sind nur einige, wenige Beispiele.
Idealerweise lässt sich das sehr weit denken. Sport statt Krieg – ein gigantischer kultureller Fortschritt. Internationale Waffenstillstände während Olympischer Spiele waren wahrscheinlich auch schon vor über zweitausend Jahren mehr Wunschdenken als Realität, aber auch wenn Ideale abstrakte Ziele sind, die unerreichbar bleiben – für deren Erreichen lohnt es sich vielleicht gerade deshalb hart zu arbeiten. Im Sport, wie in der Politik = in der Gesellschaft.
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